Jean Modert

Medien im Wandel

Im Kampf gegen die Realität: Über anachronistische Informationszwischenhändler

Siegerbeitrag zum ef-Jungautorenwettbewerb 2018


von Jean Modert


„Wissen ist Macht“, so lautet ein altes Sprichwort. Unabhängig davon, in welchem Maß der kollektive Wissensund Informationsstand der Menschheit zunimmt, bleiben diese Güter für das Individuum nämlich immer knapp. Die individuelle Rarität des „kulturellen Kapitals“ beruht darauf, dass bei dieser Ware gleich vier wichtige Eigenschaften nur sehr schwer zu gewährleisten sind: die Konservierbarkeit, die Reproduzierbarkeit, die Übertragungsfähigkeit und die Aktualisierbarkeit. Die Aneignung von Wissen verlangt jedem Einzelnen intellektuelle Abstraktionsfähigkeiten und kontinuierliche Leistungsbereitschaft ab. Daher auch die volksmündliche Wertbemessung in Form von Macht anstatt Geld


Über Jahrtausende stellte das Wissen die Menschen kollektiv wie individuell vor erhebliche Herausforderungen. Nicht zuletzt, weil sie nur Papier oder ähnliche Medien als Aufbewahrungsmittel kannten. Diese waren technologisch zwar sehr simpel. Sie führten jedoch zu einem hohen Arbeitsaufwand bei geringer Produktivität, da das enthaltene Wissen nur durch Abschreiben reproduziert werden konnte. Nach dem Ende des Römischen Reiches verfügte in Europa über Jahrhunderte nur der Klerus über die Ressourcen, das bekannte Wissen bestandserhaltend zu managen. Die Kirchenoberen erkannten jedoch einerseits, dass sie für sie selbst gefährliche Informationen unterschlagen konnten. Und andererseits stellten sie ihre zu dieser Zeit einzigartige Alphabetisierung immer mehr in den Dienst der weltlichen Obrigkeit. Die mit der Macht stets einhergehende Korruption folgte auf dem Fuß.


Bis 1450 blieb die Sonderstellung des Klerus unangefochten. In jenem Jahr vollzog die Menschheit mit der Erfindung des Buchdrucks jedoch ihren ersten Sprung in der Konservierung und Reproduzierbarkeit des kollektiven Wissens. Im Zuge der Reformation wurden die kirchlichen Pfründen zur ersten großen Zielscheibe der verbesserten Informationsverbreitung. Parallel begann sich innerhalb vergleichsweise kurzer Zeit (circa 150 Jahre) das moderne Zeitungswesen herauszubilden. Bis um 1900 hatten sich die technischen Übertragungswege und die Alphabetisierung in Deutschland so weit gesteigert, dass jeder Erwachsene mit den Vorgängen der hohen Politik vertraut war. Lokalzeitungen erschienen bis zu vier Mal am Tag, so dass der individuelle Informationsstand zu gesellschaftlich-politischen Themen rasch aktualisiert werden konnte. Mit dem Ausbruch des Burenkrieges 1899 wurde die Macht der neuen Medienstrukturen zum ersten Mal in einer internationalen Krise sichtbar. Im Transvaal (heute Südafrika) hatten neu entdeckte Goldvorkommen das Begehren der britischen Imperialmacht geweckt. Da dieses Mal europäische Aussiedler anstatt Einheimische Opfer der politischen Aggression wurden, löste der Krieg unter anderem in der deutschen Öffentlichkeit massive Empörung aus. Die militärischen Kampfhandlungen in Afrika wurden in Europa von dem ersten modernen Informationskrieg um die politische Deutungshoheit begleitet.


Während dieser Auseinandersetzung ersann die britische Obrigkeit eine neue Innovation der medialen Kontrolle, den „eingebetteten Journalismus“. Das Militär kontrollierte nämlich den Frontzugang und vor allem das Telegraphensystem. Journalisten, die ihre Artikel hierüber an die Verlage senden wollten, mussten sie erst einer Revision durch das Militär unterziehen lassen. Der Staat hatte sich als allgemein akzeptierter Informationszwischenhändler etabliert. Der Umstand, dass die Journalisten und Offiziere weitgehend den gleichen Clubs und Adelskreisen entstammten, vereinfachte dieses Vorgehen ungemein. Der bereits im Sudankrieg 1898 als junger Unruhestifter aufgefallene Winston Churchill verweigerte sich dieser Selbstzensur. Im Gegenzug musste er seinen Lesern jedoch hohe Geduld abverlangen, da die Übertragung per Schiff jeweils Wochen dauerte.


Im Laufe der zwei Weltkriege wurden die Methoden des eingebetteten Journalismus zunehmend verfestigt und verfeinert. Die USA avancierten unter dem äußerst machtbewussten Präsidenten Franklin D. Roosevelt zum Vorreiter dieser Entwicklung. Er organisierte erstmals die wöchentlichen Pressekonferenzen im Weißen Haus, bei denen er ausgewählte Journalisten mit einer Reihe Exklusivinformationen versorgte unter der Bedingung, dass sie vertraulich blieben. Wer einmal gegen dieses ungeschriebene Gesetz verstieß, wurde nicht mehr eingeladen. Die Informationszwischenhändler waren nun die Journalisten, die über ein sehr großes Angebot verfügten, aber gehalten waren, die Verbreitung selbst künstlich zu reduzieren. Der zahlende Leser erfuhr von dieser Praxis nichts, da Verknappungen in 38 eigentümlich frei Nr. 182 diesen Märkten naturgemäß leicht zu kaschieren sind. Wer von etwas keine Ahnung hat, kann auch nicht wissen, dass er davon keine Ahnung hat.


Diese Einbettungsmethode wurde zur Schablone für die westeuropäischen Staaten nach 1945. In Westdeutschland knüpften die Siegermächte das Pressewesen an eine strenge Lizenzvergabe, wodurch früh der Grundstein für eine ökonomische Konzentration bei wenigen großen Verlagen gelegt wurde. Parallel wurde mit dem Argument der Gewaltenteilung ein sogenannter unabhängiger öffentlich-rechtlicher Rundfunk etabliert, der sich über Zwangsgebühren finanzierte. Die Mitwirkung zivilgesellschaftlicher Vertreter wie etwa Kirchen und Parteien bei der Programmgestaltung sollte einen demokratischen Meinungspluralismus gewährleisten.


Die Parteien besetzten jedoch rasch sämtliche staatlichen Schlüsselstellen. Die öffentlich-rechtlichen Medien sind zugleich auf die Politik angewiesen, um ihre Gebühren zu erhalten. Und auch privatwirtschaftliche Journalisten benötig(t)en die Nähe zur Politik, um an kritische Informationen zu gelangen. Die Politik ist ihrerseits auf eine freundliche Berichterstattung angewiesen, so dass man sich schnell in eine gegenseitige Abhängigkeit begab. Erneut wurden die Journalisten zu unerkannten Zwischenhändlern, die jedoch das gutgläubige Vertrauen der geprellten Medienkonsumenten genossen. Diese Konstellation wird erst erschüttert, seit durch die Verbreitung des Internets eine nie dagewesene Liberalisierung sämtlicher Informationsmärkte einsetzte. Mit wenig technischem Aufwand kann seitdem jeder Einzelne Wissen reproduzieren und verbreiten, aber auch individuell zugeschnittene Informationen zu fast jedem Thema abrufen.


In den USA wurde die Stellung der medialen und politischen Eliten früh durch zwei Großereignisse erschüttert. Dies war einerseits die Lüge über die irakischen Massenvernichtungswaffen und andererseits die Deckung der hanebüchenen offiziellen Erklärung der Anschläge von 9/11 durch die großen Medien. In Deutschland verzögerte sich dieser Prozess bis 2014. Erst in der Krimkrise wurden die propagandistische Berichterstattung und die damit einhergehende Kriegsgefahr offensichtlich. Zum zweiten Mal erschütterten die deutschen Medien ihre Glaubwürdigkeit mit ihrer realitätsfernen Glorifizierung der Migrationskrise von 2015. Gleichzeitig trat eine neue Ost-West-Bruchlinie hervor, da die früheren DDR-Bürger aufgrund ihrer unterschiedlichen medialen Sozialisation allgemein einen kritischeren Umgang mit diesem Thema pflegen als die Westdeutschen.


Trotz des Machtmissbrauchs hatten die öffentlichrechtlichen Zwischenhändler das rettende Ufer vor der drohenden ökonomischen Realität jedoch schon zwei Jahre zuvor erreicht. Durch die Einführung und rigorose Durchsetzung der geräteunabhängigen GEZ-Gebühren braucht das Vertrauen der Zuschauer sie vorläufig nicht mehr zu interessieren. Gerade als die Liberalisierung ihrem windigen Geschäftsmodell ein natürliches Ende zu bereiten drohte, hatten sie ihre Pfründen durch die Schirmherrschaft des politischen Zwangs abgesichert. Vorläufig wurde Deutschland in eine mediale Feudalgesellschaft zurückgeworfen.


Die Welt entwickelt sich jedoch weiter, und erneut sind die USA Vorreiter eines medialen Umbruchs mit unbestimmtem Ausgang. Donald Trump verweigert sich als erster US-Präsident konsequent der politisch-medialen Kungelei. Sein bevorzugtes Kommunikationsmittel ist der Nachrichtendienst Twitter, da er sich ohne Zwischeninstanzen direkt ans Volk wenden kann, wie er offen zugibt. Gleichzeitig bildete sich im Internet ein breiter Markt kleiner spendenfinanzierter alternativer Medien heraus. Dieses Finanzierungsmodell und ihre breite Konkurrenz unterwerfen sie einer strengen Marktkontrolle. Ähnliche Ansätze zeigen sich zwar auch in Deutschland, jedoch wird das Geld der Konsumenten hier sehr stark bei den Öffentlich-Rechtlichen gebunden. Ob Deutschland dauerhaft in eine mediale Feudalgesellschaft zurückfällt oder die natürliche Freiheit sich wieder Bahn bricht, hängt einerseits von der Kritikfähigkeit der Bürger, aber andererseits auch von den Beharrungskräften der anachronistischen Profiteure des aktuellen Systems ab. Beide sind unberechenbar


eigentümlich frei Ausgabe 182

Diesen Artikel finden Sie gedruckt zusammen mit vielen exklusiv nur dort publizierten Beiträgen in der Mai-Ausgabe 2018 eigentümlich frei Nr.182.