Arno Stöcker

Post-Sozialismus

Vom Staatsmonopolisten zum Multiplayer

Siegerbeitrag zum ef-Jungautorenwettbewerb 2019


von Arno Stöcker


Ein Gespenst geht um im deutschen Briefträgergewerbe – das Gespenst der Privatisierung. Die Post, das einstmals stolze deutsche Staatsunternehmen, mit einer mehr als hundertjährigen Geschichte bis hin zur Gründung der Reichspost im Jahr 1872, das zwei Weltkriege, mehrere Währungs- und Staatsreformen und unzählige technologische Veränderungen überstanden hat, ist seit 20 Jahren dem harten Wind des Wettbewerbs und der Konkurrenz ausgesetzt. Und die Marktkräfte rütteln ordentlich an dem alten Kahn. Unter den neuen Segeln zeichnen sich die alten staatlichen Strukturen noch ab, aber der Konzern hat sich vom nationalen Staatsmonopolisten zum internationalen Multiplayer gewandelt.


Der Briefträger mit seinem täglichen Trott ist Sinnbild einer gut geölten, aber einschläfernden Staatsbürokratie. Pünktlich um 16:25 Uhr wird der Briefkasten geleert, die Post über Nacht sortiert und am nächsten Morgen ausgetragen. Jeden Tag, egal wie viele Briefe im Postsack sind oder wie dringend die Zustellung ist. Ein Monopol, von staatlicher Hand gut gelenkt, zum Wohle aller. Nur am Sonntag wird nicht zugestellt. Außer der Zeitung, aber die armen Jungs waren ja schon immer privat angestellt oder bei der SPD-Medienholding.


Wie dynamisch wirkt dagegen ein international agierender Logistikkonzern. Im Imagefilm das Megacontainerschiff, das stoisch auf tobender See den Kurs hält, glänzende Luftpostmaschinen und Männer mit Dreitagebart und Fliegersonnenbrillen, die dringend benötigte Waren über Nacht um die halbe Welt fliegen, und die junge Akademikerin, die im anonymen, silber-glänzenden Büroturm internationale Warenströme managt und optimiert.


Eben jener silberne Büroturm ist der Post Tower, die Konzernzentrale der Deutschen Post AG in Bonn am Rhein. Die Umwandlung der Deutschen Bundespost war eines der letzten Großprojekte der niedergehenden Bonner Republik. 1994 wurde die Privatisierung mit der zweiten Postreform auf den Weg gebracht. Bis dahin war der Staatskonzern der größte Arbeitgeber in Deutschland und streng nach staatlich-bürokratischer Vorschrift organisiert. Die Deutsche Bundespost hatte nicht nur ihr eigenes Postverwaltungsgesetz, sondern sogar ein eigenes Bundesministerium. In einer typischen Form politischer Bigotterie wurde dem Staatsunternehmen sowohl die Sicherung der Eigenwirtschaftlichkeit auferlegt als auch, sein Handeln „nach den Grundsätzen der Politik der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere der Verkehrs-, Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik“ auszurichten und „den Interessen der deutschen Volkswirtschaft Rechnung zu tragen“. Es lässt sich wohl erahnen, was das Primat der Politik für eine auf Langfristigkeit ausgelegte Unternehmensstrategie bedeutet.


Grund für die Privatisierung des einstigen Staatsriesens und die Abschaffung des angeschlossenen Bundesministeriums – auch das verdient eine Erwähnung – war seinerzeit die Europäische Gemeinschaft, die die Liberalisierung und Homogenisierung des europäischen Postmarkts vorantrieb. Förderlich für die Umsetzung der Reform war zudem, dass dem Bund keine ausreichenden Finanzmittel zur Verfügung standen, um die Telekommunikationsinfrastruktur in den neuen Bundesländern aufzubauen. So entschloss sich die Regierung Kohl, das Tafelsilber unters Volk und die Aktionäre zu bringen und frisches Kapital für das Mammutprojekt zu beschaffen. Sicherlich die bessere Alternative als ein Solidaritätszuschlag II.


Aus der Bundespost gingen dabei die drei Aktiengesellschaften Deutsche Post AG, Deutsche Telekom AG und Deutsche Postbank AG hervor. Sofern der Aktienkurs noch als Kennzahl in diesen verzerrten Zeiten herhalten kann, hält sich die Post im Gegensatz zu ihren Schwestern wacker. Die Telekom hat sich auch 20 Jahre nach ihrem Börsengang als Volksaktie nicht von ihrem fulminanten Fehlstart erholt und weist beharrlich einen Wertverlust von 75 Prozent auf. Noch schlechter lief es bei der Postbank. Die ehemalige Tochter der Post wurde von der Deutschen Bank geschluckt und taumelt nun dem Abgrund entgegen. Die Aktien der Deutschen Post AG konnten hingegen seit ihrem Börsengang 2000 gut 40 Prozent Wertzuwachs verzeichnen. Nicht berauschend, aber solide.


Gegenwärtig ist die Deutsche Post DHL Group, wie sie seit 2015 heißt, mit mehr als einer halben Million Beschäftigten und unzähligen Tochterfirmen und Beteiligungen das größte Aktienunternehmen in Europa und weltweit knapp vor UPS der umsatzstärkste Logistikkonzern. Allein in Deutschland sind mehr als 200.000 Menschen bei ihr beschäftigt.


Von einer vollständigen Privatisierung kann dabei leider keineswegs die Rede sein. Nach wie vor ist die Bundesrepublik über die Kreditanstalt für Wiederaufbau mit einem Anteil von etwa 21 Prozent der größte Einzelaktionär der Post AG. Die Staatsnähe ist nach wie vor unübersehbar. Als Universalanbieter ist die Post nach wie vor von der Umsatzsteuer befreit, während die kleinen Konkurrenzunternehmen auf ihre Preise die Mehrwertsteuer draufschlagen müssen. Das Briefentgelt muss immer noch durch die staatliche Oberaufsicht in Gestalt der Bundesnetzagentur genehmigt werden. Auch bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen können Ämter und Behörden durch Festsetzung von hohen Qualitätsmerkmalen ihre Ausschreibungen für junge Unternehmen unattraktiv gestalten und den Teilstaatskonzern diskret bevorzugen. Ein Schelm, wer hierbei Absicht vermutet.


Die staatliche Vergangenheit ist für den Konzern aber auch mit strukturellen Nachwehen verbunden. Bis heute arbeiten noch 30.000 Beamte mit ihren teuren, unkündbaren Arbeitsverhältnissen bei dem Konzern. Derzeit versucht das Bonner Unternehmen mit einem mehr als eine halbe Milliarde Euro schweren Vorruhestandsprogramm, sich der letzten staatlichen Dinosaurier zu entledigen.


Die Liberalisierung im Postmarkt hat aus der Sicht der Lehrbuchökonomie nicht zu einem perfekten Wettbewerb geführt. Die Post dominiert nach wie vor die Briefzustellung, aber allein die Möglichkeit, dass Konkurrenz am Markt entstehen kann, wirkt korrigierend auf den Marktführer. Hinzu kommt die technologische Alternative E-Mail. Im Wachstumsmarkt der Paketzustellung sieht denn die Lage auch schon ganz anders aus. Mittlerweile wird jedes zweite Paket von einem Konkurrenzunternehmen ausgeliefert.


In der heutigen Konzernstruktur spielt das ehemalige Kerngeschäft aber sowieso nur noch eine untergeordnete Rolle. Insgesamt wird lediglich noch ein Drittel des Konzernumsatzes im Stammgeschäft der Brief- und Paketsendungen erwirtschaftet. Das ehemals staatliche Postunternehmen hat sich zum weltweiten Logistikkonzern gemausert. Die Tochterfirma DHL hat sich auch international zu einem Markennamen im Fracht- und Kuriergeschäft etabliert. Nicht vielen ehemaligen Staatsbetrieben ist dies gelungen.


Von der Postkutsche über die Eisenbahn bis zum Elektroautomobil. Vom Briefumschlag über den Telegraphen zum Telefon zur E-Mail. Es knirscht und knarzt an vielen Stellen bei der Post, wie es sich für ein Segelschiff gehört. Sollte unser gegenwärtiger Halb-Dreiviertel-Sozialismus nicht in einem großen Knall enden, sondern in eine Phase des gemächlichen Übergangs übergehen, bietet die Geschichte des Post-Sozialismus Grund zur Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Die Entwicklung wird in ungeraden Bahnen und über Jahrzehnte verlaufen und nicht im marktwirtschaftlichen Paradies enden, aber ein Viertel Sozialismus ist besser als ein Viertel Marktwirtschaft.


eigentümlich frei Ausgabe 192

Diesen Artikel finden Sie gedruckt zusammen mit vielen exklusiv nur dort publizierten Beiträgen in der Mai-Ausgabe 2019 eigentümlich frei Nr.192.